Den mentalen Durchhänger austricksen

Es ist nicht immer einfach, sich Tag für Tag, Woche für Woche auf ein strukturiertes Training einzulassen und fokussiert zu bleiben. In meinem Alter geht ohnehin alles etwas langsamer, viel langsamer.

Ich werde dieses Jahr 79. Ich benötige viel mehr Zeit als früher, mich auf eine Trainingseinheit mental und körperlich vorzubereiten. Und für die Erholung danach muss ich mir auch viel mehr Zeit lassen. Da kann es vorkommen, dass ich wegen einer Verabredung plötzlich in «Bedrängnis» komme, weil ich vielleicht körperlich grad zu müde bin und mich eigentlich nur hinlegen möchte.

Triathlon ist ein Einzelsport, viele ambitionierte Athleten leben in ihrer «Blase» ziemlich asketisch mit wenigen übrigen Kontakten, ausser Beruf und Sport.

Ich will mich aber wegen meines Sports, dem ich mindestens noch 18 Monate ziemlich viel meines Lebens unterordne, nicht von meinem persönlichen Umfeld abschotten. Partnerschaft und Liebe, Kontakte und Austausch mit Familie und Freunden, Kultur, Theater, Musik, gutes Essen gehören genauso zur Essenz eines beglückenden Lebens. Das soll trotz allem seinen Platz haben.

Gut, ich bin Rentner, habe letztes Jahr – nach 62 Jahren Berufstätigkeit – meine Firma verkauft, bin also ziemlich frei in meiner Lebensgestaltung.

Trotzdem kann es durchaus vorkommen, vor allem in diesen trüben Wintermonaten, dass ich mich frage: Ist es diesen Aufwand wert? Bin ich verrückt? Zumal ich noch lange nicht weiss, ob das grosse Ziel, den Ironman mit 80 Jahren nochmals zu finishen, überhaupt realistisch ist. In solchen Momenten, die ich auch mit meiner Liebsten teile, bin ich froh um ihre aufmunternden Worte: «Mach einfach weiter, es tut dir ja gut. Und denke nicht ans Ziel. Das ist gar nicht das Wichtigste.»

Zum Glück dauern meine zweifelnden Gedanken, ich nenne sie mentale Durchhänger, in der Regel nicht allzu lange. Dann versuche ich, mich an kleinen Dingen zu erfreuen, zum Beispiel an einem herrlich vollwertigen, vitamin- und nährstoffreichen Frühstück, für dessen Vorbereitung ich mir locker 30 Minuten Zeit nehme. Am schönsten ist es, dann auch meine Liebste dabei zu haben. Oder ein gutes Gespräch. Oder ein spannendes Buch. Was auch gut gelingt fürs Abstreifen negativer Gedanken: Früh aufstehen, direkt aus dem Bett zu Hause im Appenzell in den kalten Brunnen, oder, wenn ich in Zürich bin, kurzes Eisschwimmen in der Limmat.

Ich bin dankbar, dass ich bis heute ohne echte körperliche Beschwerden durchs Leben gekommen bin, erfreue mich noch immer an der freien Bewegung, auch wenn’s intensiv wird, sei es im Wasser, auf dem Rad, beim Laufen oder im Kraftraum. Aber alles, dem Alter geschuldet, viel langsamer als in ungestümen jungen Jahren, dafür vielleicht achtsamer und bewusster. Auch eine Qualität.

Wie weiter?

Damit habe ich ganz und gar nicht gerechnet. Die ersten Monate mit vorsichtigem Lauftraining über den letzten Winter bis in diesen Sommer hinein verliefen, was die Schmerzfreiheit in meinem linken Problemknie betrifft, vielversprechend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich zehn Jahre lang praktisch nie mehr sportlich gelaufen bin. Jetzt weiss ich: Die Belastung des Gelenkapparates war nach dieser langen Pause doch zu gross.

Ich bin niedergeschlagen, stelle das ganze Projekt in Frage. Ich muss auf das Lauftraining erst mal komplett verzichten. Ich spüre auch, wie meine Movitation nachlässt, stelle mir viele weitere Fragen. Habe das Gefühl, auch beim Schwimmen kaum Fortschritte zu machen. Was soll dieser Aufwand, wenn das Ziel quasi unerreichbar erscheint? Viele Diskussionen auch mit meiner Liebsten, die immer mit guten und aufmunternden Anregungen zur Stelle ist. „Jetzt nicht gleich die Flinte ins Korn werfen“, rät Coach Dan. Er sieht durchaus Möglichkeiten, das Training so zu gestalten, dass ich mir die ganze Ausdauer mit dem Radtraining aneigne. Und dann am Tag X nach Schwimmen und Rad soviel Vorsprung heraushole, damit ich den abschliessenden Marathon mit zügigem Marschieren noch innerhalb der Cut off-Zeit absolvieren könnte.

Aber eben, erst mal Pause mit Laufen für die kommenden Sommermonate. In meinem Umfeld geht bereits das Gerücht um, ich hätte meine Projekt schon aufgegeben, das sei wohl eine vernünftige Entscheidung. Ich kommentiere das nicht weiter, weil ich mit mir darüber selber nicht im Klaren bin. Mental aufbauen kann ich mich immer wieder mit schönen Radfahrten, allein oder mit Freunden. Mit Krafttraining und gezielten Dehnübungen bleibe ich auch dran.

Geduld ist angesagt! Für die nächste Zeit lasse ich das strukturierte Training komplett aus und beobachte in mir drinnen, wie es mir dabei ergeht. War’s das – oder doch nicht?