Den mentalen Durchhänger austricksen

Es ist nicht immer einfach, sich Tag für Tag, Woche für Woche auf ein strukturiertes Training einzulassen und fokussiert zu bleiben. In meinem Alter geht ohnehin alles etwas langsamer, viel langsamer.

Ich werde dieses Jahr 79. Ich benötige viel mehr Zeit als früher, mich auf eine Trainingseinheit mental und körperlich vorzubereiten. Und für die Erholung danach muss ich mir auch viel mehr Zeit lassen. Da kann es vorkommen, dass ich wegen einer Verabredung plötzlich in «Bedrängnis» komme, weil ich vielleicht körperlich grad zu müde bin und mich eigentlich nur hinlegen möchte.

Triathlon ist ein Einzelsport, viele ambitionierte Athleten leben in ihrer «Blase» ziemlich asketisch mit wenigen übrigen Kontakten, ausser Beruf und Sport.

Ich will mich aber wegen meines Sports, dem ich mindestens noch 18 Monate ziemlich viel meines Lebens unterordne, nicht von meinem persönlichen Umfeld abschotten. Partnerschaft und Liebe, Kontakte und Austausch mit Familie und Freunden, Kultur, Theater, Musik, gutes Essen gehören genauso zur Essenz eines beglückenden Lebens. Das soll trotz allem seinen Platz haben.

Gut, ich bin Rentner, habe letztes Jahr – nach 62 Jahren Berufstätigkeit – meine Firma verkauft, bin also ziemlich frei in meiner Lebensgestaltung.

Trotzdem kann es durchaus vorkommen, vor allem in diesen trüben Wintermonaten, dass ich mich frage: Ist es diesen Aufwand wert? Bin ich verrückt? Zumal ich noch lange nicht weiss, ob das grosse Ziel, den Ironman mit 80 Jahren nochmals zu finishen, überhaupt realistisch ist. In solchen Momenten, die ich auch mit meiner Liebsten teile, bin ich froh um ihre aufmunternden Worte: «Mach einfach weiter, es tut dir ja gut. Und denke nicht ans Ziel. Das ist gar nicht das Wichtigste.»

Zum Glück dauern meine zweifelnden Gedanken, ich nenne sie mentale Durchhänger, in der Regel nicht allzu lange. Dann versuche ich, mich an kleinen Dingen zu erfreuen, zum Beispiel an einem herrlich vollwertigen, vitamin- und nährstoffreichen Frühstück, für dessen Vorbereitung ich mir locker 30 Minuten Zeit nehme. Am schönsten ist es, dann auch meine Liebste dabei zu haben. Oder ein gutes Gespräch. Oder ein spannendes Buch. Was auch gut gelingt fürs Abstreifen negativer Gedanken: Früh aufstehen, direkt aus dem Bett zu Hause im Appenzell in den kalten Brunnen, oder, wenn ich in Zürich bin, kurzes Eisschwimmen in der Limmat.

Ich bin dankbar, dass ich bis heute ohne echte körperliche Beschwerden durchs Leben gekommen bin, erfreue mich noch immer an der freien Bewegung, auch wenn’s intensiv wird, sei es im Wasser, auf dem Rad, beim Laufen oder im Kraftraum. Aber alles, dem Alter geschuldet, viel langsamer als in ungestümen jungen Jahren, dafür vielleicht achtsamer und bewusster. Auch eine Qualität.

Bin ich ein Sport-Junky?

Die letzte Woche des Jahres habe ich mehrheitlich mit Herumliegen verbracht. Eine hartnäckige Grippe liess nichts anderes zu, zum Glück ohne Nebenwirkungen wie Glieder-, Kopf- oder andere Schmerzen. Ich hatte mir einige intensive Trainingseinheiten vorgenommen, auf die ich natürlich alle verzichten musste.

In solchen Tagen, wo man sich nur müde und schwach fühlt, kommen fast zwangsläufig schwierig zu unterdrückende Gedanken hoch: Wie stark wird meine Fitness darunter leiden? Werde ich zur gewohnten körperlichen Stärke und Ausdauer zurückfinden?

Diesmal gings ganz gut, Geduld und Vertrauen obsiegten – und siehe da, am 2. Januar 2025 startete ich mit 90 Minuten Krafttraining – und mit einem neuen persönlichen Rekord: 12 Klimmzüge! Nicht schlecht für einen alten Herrn im 79. Altersjahr.

Ohne Krafttraining kann ich mir momentan das Leben gar nicht mehr vorstellen. Es ist eine wunderbare Form der Körperpflege, der Achtsamkeit mit mir und meinem Körper. Wie heisst es doch: Du musst den Körper quälen, sonst quält er dich. Das hat einen wahren Kern. Ich betrachte die Anstrengung im Sport aber nie als Quälen, sondern vielmehr als sinnliche Erfahrung, die mich intensiv und nachhaltig „berauscht“. Nach jeder Ganzkörper-Krafteinheit fühle ich mich leicht und geschmeidig. Dasselbe gilt natürlich auch fürs Laufen und Radfahren. Bin ich ein Sport-Junky? Vielleicht. Meiner Liebsten jedenfalls gefällt es immer wieder von neuem, wie schön mein Sport auf mein Wesen und meine Ausstrahlung wirkt.

Dass ich meine Knieschmerzen nach dem schwierigen letzten Sommer mittlerweile fast komplett zum Verschwinden gebracht habe, verdanke ich den spezifischen Kniekräftigungsübungen. Sie sind hart, aber zeigen Wirkung. Ich bin überzeugt: Wenn ich diese Übungen konsequent durchhalte, sind meine Muskeln rund ums Knie so stark, dass die Arthroseschmerzen keine Chance mehr haben. Und das Laufen macht schon jetzt wieder wirklich Spass – durch die Wintermonate vorerst mit zwei Einheiten von jeweils einer Stunde auf dem AntiGrativy Laufband, bei 85 % meines Körpergewichts. Bei den Intervalleinheiten fühle ich mich oft zurückversetzt in meine jüngeren Jahre als leidenschaftlicher Läufer.

Im kommenden Frühling werden wir dann sehen, wie es ohne Unterstützung draussen im Freien aussieht. Ich bin zuversichtlich.

Vom Vorgeplänkel zum mentalen „Tunnel“

Mein aktuelles Leistungsvermögen auf dem Velo reflektiert ziemlich genau meine Fahrt um den Zürichsee im letzten Oktober.

61.76 Kilometer in 2:10:33, was einem Tempodurchschnitt von 28.4 km/h entspricht. Das habe ich auf der mehr oder weniger flachen Strecke erreicht mit einer durchschnittlichen Leistung von 136 Watt und einer durchschnittlichen Herzfrequenz von 144 bpm.

Ich gehe davon aus, dass ich diese Leistung mit konsequentem Indoor-Training über die Wintermonate noch erheblich steigern kann. Und dann werde ich für die Strassensaison nächstes Jahr wieder meinen Triathlonlenker montieren, was mich auf dem Velo deutlich windschlüpfriger, d.h. aerodynamischer macht. Diese Position gilt es ohnehin das ganze nächste Jahr zu trainieren, damit sich mein Rücken auch bei langen, mehrstündigen Ausfahrten daran gewöhnen kann, ohne Spannungen oder Schmerzen zu verursachen.

Mein kurzfristiges Ziel bis nächsten Frühling: Die gleiche Strecke mit einem Tempodurchschnitt von 30 km/h zu absolvieren.

Ich bin froh, habe ich mir bewusst drei Jahre Zeit gelassen für meine Vorbereitung auf den grossen langen Tag im Oktober 2026. Eigentlich sind es ja zwei grosse, lange Tage. Voraussichtlich im Juni 2026 stehe ich am Start eines Ironman in Europa, vielleicht in Hamburg. Diesen muss ich erfolgreich finishen, um mich für die Weltmeisterschaften in Hawaii zu qualifizieren.

Für dieses Projekt hatte ich mich im Sommer 2023 ganz spontan und aus dem Bauch heraus entschieden. Heute ist mir klar, dass die Einlaufzeit von einem ganzen Jahr absolut notwendig war. Allein schon die körperliche Adaption an diese nach längerer Pause erneuten vielfältigen Belastungen benötigt Zeit. An die langsame, geduldige Heraugehensweise hat mich Coach Dan auch regelmässig erinnert.

Eine meiner früheren Gewohnheiten, mal einige Tage oder gar Wochen die Beine hängen zu lassen, um mich dann plötzlich mit einem enthusiastischen „Anfall“ von sportlicher Leidenschaft und Ehrgeiz komplett zu verausgaben, hat mir Dan definitiv ausgetrieben. So würde ich mich eher kaputt trainieren, statt meine Fitness aufzubauen. Recht hat er! So habe ich gelernt, meine sportlich-emotionalen Impulse zu zügeln. Die Entwicklung meiner Leistungswerte auf Garmin zeigt den richtigen Weg. Ich spüre, dass mein Testosteronspiegel für mein Alter zwar sicher noch recht hoch ist. Aber zum Beispiel den Impuls, jemandem gleich hinterher zu hecheln, der mich auf dem Rad überholt, lasse ich heute tiefenentspannt am Strassenrand liegen. Ich weiss, auf was ich im Training zu achten habe.

Um ehrlich zu sein, bin ich eigentlich erst in den letzten Wochen so richtig eingetaucht in den mentalen „Tunnel“ mit absolutem Fokus auf mein grosses Ziel. Was bisher „geschah“, war Vorgeplänkel.

Die letzten zwei Wochen dieses Jahres trainiere ich mit dem Bewusstsein, dass das Jahr 2025 absolut entscheidend sein wird. Ich bin gespannt und voller Vorfreude!

Im Rausch der Sinne

Nach einem Trainingsjahr mit schwierigem Start und vielen Unsicherheiten sieht mein sportliches Leben jetzt viel klarer aus. Ich erinnere mich, wie ich von den Ergebnissen des ersten Leistungstests im August 2023 enttäuscht war und mir nicht vorstellen konnte, noch einmal ein Niveau zu erreichen, um einen Ironman in Angriff zu nehmen.

Von besonderer Bedeutung bei Leistungstests ist der VO2max, das ist die maximale Aufnahmemenge von Sauerstoff, die pro Minute bei dynamischer Arbeit, d.h. bei sportlicher Leistung möglichst aller grossen Muskelgruppen, aufgenommen werden kann. Der Vo2max ist also einer der wichtigsten Gradmesser zur Bewertung der aeroben Leistungsfähigkeit.

Und dieser VO2max hat sich bei mir innerhalb eines Jahres dramatisch entwickelt. Mit einem Wert von 35 lag ich in meiner Altersklasse 70-79 zwar immerhin noch zwischen „good“ und „excellent“, aber insgesamt natürlich noch recht tief. «Auf über 40 musst du schon kommen, sonst wird’s schwierig», sagte mir damals Coach Dan. «Aber wenn du gesund bleibst und diszipliniert trainierst, kann noch einiges möglich sein.»

Tatsächlich: Letzte Woche meldet mir Garmin, der alle meine Trainingsdaten laufend analysiert, einen Wert von 49 und beurteilt diesen als «überragend». Damit bin ich auf der Scala der Altersgruppen sogar bei den 50-59jährigen im obersten Segment, also «superior». Wow! Da mache ich einen Luftsprung. Garmin berechnet auch regelmässig mein aktuelles Fitnessalter aufgrund meiner Trainingsleistungen (Watt, Herzfrequenz, Alter, Belastungsdauer), aktuell steht es auf 59,5 Jahre. Auch nicht schlecht, oder?

Dank dieser körperlichen Basis gelange ich mittlerweile wieder, wie in jüngeren Jahren oft beim Marathontraining, auch bei härteren Einheiten in einen leichten, nachhaltigen, eigentlich sogar rauschähnlichen Zustand, der sich dann auf den ganzen restlichen Tag auswirkt. Alles fühlt sich leichter und geschmeidiger an. Zum Beispiel beim Krafttraining, wenn du bei den härtesten letzten Wiederholungen spürst, wie das Blut warm durch die Muskeln schiesst und dir dann, in der Ruhephase, dieses unnachahmliche, geile Körpergefühl gibt.

Oder, jetzt im Winter, beim Indoor-Training auf dem Velo bei cooler, intensiv rhythmischer Musik. Ich mache die Türe zu, das Fenster auf, rings um mich und mein Trainingsgerät herum ein kleiner Pflanzenurwald, und verabschiede ich mich dann von meiner Liebsten für eine intensive Reise in meinen Körper und meine Seele hinein, für eine Stunde. Allein mit mir, nichts als Atem, belastete Muskeln und Schweiss – da fährt auch der Rhythmus der Musik voll in mich hinein. Und im Anschluss regnet es Glückshormone, die ich schliesslich bei einem Bad sanft und entspannt ausfahren lasse. Das kannst du nicht mehr toppen!

Noch 99 Wochen

Nun bin ich also seit einigen Wochen wieder voll im strukturieren Trainingsmodus. Das fühlt sich unglaublich gut an.

Das erste Jahr nach meinem verrückten Entscheid, es noch einmal mit einem Ironman zu versuchen, war ein ständiges Auf und Ab, sowohl körperlich wie mental. Unterschätzt habe ich eindeutig, was es in meinem Alter heisst, zehn Jahre nicht mehr sportlich zu laufen und zu schwimmen – und ich bin zehn Jahre älter geworden! Hinzu kam in den ersten Monaten die Ungeduld mit mir selber. Ich hatte das Gefühl, überhaupt keine Fortschritte zu machen. Auf dem Velo allerdings schon, und das hat mich mental jeweils wieder aufgebaut. Aber in regelmässigen Abständen holten mich die Zweifel ein.

Wenn ich zurückblicke, hatte der schmerzbedingte Trainingsunterbruch über die Sommermonate vielleicht auch etwas Positives. Ich hinterfragte das ganze Projekt nochmals in allen seinen Aspekten, sprach mich viel mit meiner Lebenspartnerin aus, holte Rat beim Orthopäden, beim Coach und beim Physiotherapeuten – und fühle mich jetzt gestärkt und viel zuversichtlicher. Nie aufgegeben habe ich in dieser Zeit Krafttraining, Gymnastik und Velo fahren. Ich sagte mir: Das tut mir sowieso gut, und das werde ich ohnehin soweit wie möglich bis an mein Lebensende aufrechterhalten, ob ich nun auf einen Ironman hinarbeite oder nicht.

Hauptziel bleibt der Flow

In diesem Sommer habe ich das japanische Buch „Ikigai“ gelesen. Der Inhalt: Durch einzigartige fernöstliche Lebenskunst sich selbst finden, innere Stärke aufbauen und Alltagsstress loslassen.

Das hat mich begeistert. Genauso möchte ich mein Leben in allen Aspekten leben und versuchen, mich diesbezüglich immer weiter zu verfeinern. Wenn ich in diesem Flow bin, dann werde ich den Ironman im Jahr 2026 gewissermassen als schönes «Nebenprodukt» erleben. Hauptziel bleibt der Flow.

Interessant ist allein schon dieser Test aus dem Buch:

  • Kannst du anderen voller Begeisterung davon erzählen, was du täglich machst und was dich täglich bewegt und sie damit auch anstecken und inspirieren?
  • Gibt es etwas, das deine Motivation immer wieder aufs Neue fördert?
  • Ist es etwas, wofür du jeden Morgen mit Freude aufstehst und dankbar bist, es leben zu dürfen?
  • Verleiht es dir Energie?
  • Fühlt es sich tief in deinem Herzen richtig an?
  • Spürst du, dass du dabei ganz du selbst sein kannst?
  • Hilft es dir, dich wacher, aufmerksamer, konzentrierter und lebendiger zu fühlen?
  • Spürst du, dass dein Leben dadurch erfüllter und bunter wird?
  • Hast du damit eine positive Wirkung auf andere Menschen und die Gesellschaft?
  • Erlebst du regelmäßig im Alltag kleine und große schöne Momente, für die du dankbar bist und die dich glücklich machen?

Mich freut, dass ich, wenn ich mich in meinem Flow fühle, obige Fragen grundsätzlich mit Ja beantworten kann.

Natürlich gelingt mir das nicht immer. Auch ich schlage mich mit kleineren und grösseren Sorgen herum und kriege den Kopf nicht immer so frei wie ich möchte. Darum merke ich mir die folgenden Kernsätze, die in jedem Fall auch für mein sportliches Ziel gelten:

1.Klein anfangen

2.Loslassen lernen

3.Harmonie und Nachhaltigkeit leben

4.Die Freude an kleinen Dingen entdecken

5.Im Hier und Jetzt sein

Aktuell gilt für mein Training: klein anfangen, aber konsequent dranbleiben.

Ich habe noch 99 Wochen Zeit bis zum grossen langen Tag.

Tief überwunden – der Zug nimmt wieder Fahrt auf

Seit den im Juni wieder aufgetauchten Schmerzen in meinem linken Knie ist mein Fernziel Ironman 2026 noch weiter in die Ferne gerückt. Soll ich das Projekt am Leben erhalten oder ist es doch zu viel verlangt von mir und meinem Körper. Übermässiger Ehrgeiz?

Eine lieb gewordene Tradition seit einigen Jahren, mit unserer Rapperswiler Velofahrer-Gruppe. Dieses Jahr waren es im Juni zehn Tage quer durch Slowenien, letztes Jahr rund um die Schweiz mit angrenzendem Ausland, ein Jahr zuvor Toscana mit der legendären Route «Strade bianche», 2018 in zweieinhalb Wochen den ganzen Stiefel runter, von Bellinzona bis Palermo, Sizilien. 

Auf dem Velo habe ich gar keine Knieschmerzen. Im Gegenteil: Es hält mein Knie geschmeidig und stärkt die Muskeln rundherum.

Es ist Oktober, ich fühle mich gut und fit. Die Knieschmerzen sind nach vier Monaten ohne Lauftraining wieder weitgehend verschwunden. Krafttraining und die Übungen von Liebscher & Bracht, den Schmerzspezialisten («schmerzfrei 100 Jahre alt werden»), zeigen Wirkung. Und die Motivation, weiter mein sportliches Ziel zu verfolgen, nimmt wieder täglich zu.

Auf Empfehlung von Coach Dan lasse ich mich bei einem Orthopäden und Kniespezialisten untersuchen. Seine Diagnose: Die starke Muskulatur verhindert die Arthrose-Schmerzen. Weiter so mit Kräftigung und Ausdauertraining! Überweisung an den Sportphysiotherapeuten. Hier, bei «Med&Motion», der Topadresse der Therapeuten für Freizeit- und Leistungssportler, lerne ich neue, ganz spezifisch auf mein schwächeres Knie (und als Folge auch mit schwächerer Beinmuskulatur) ausgerichtete Übungen. Die will ich ab sofort konsequent in mein Programm aufnehmen.

Dann eine echte Entdeckung: «Alter G», die «AntiGravity Treadmill», das Laufband, auf dem du mit vermindertem Gewicht trainieren kannst. Die nutzen Laufsportler nach einer Verletzung, um sich sanft wieder an die Belastung und die Schläge auf die Gelenke heranzutasten. Genau das richtige für mich!

Aktuell laufe ich mit einer Belastung von 85 Prozent meines Körpergewichts, das sind also 54.4kg (statt meinen 64kg), jeweils 45 Minuten, abwechselnd z.B. 2min mit 6 km/h, dann etwa 10min mit 10 km/h, das ist ein Tempo von 6min/km. Also im sehr moderaten Bereich. Aber das Gefühl ist einmalig. Ich tauche in meine frühere Zeit als leidenschaftlicher Läufer ein, schone die Gelenke, trainiere sie aber gleichzeitig für kommende Belastungen. So mache ich das jetzt zwei- bis dreimal pro Woche über die Wintermonate.

Beim Lauftraining werde ich extrem mit meinem Alter und dem damit einhergehenden Leistungsabbau konfrontiert. Eine gute Übung, mich damit, ob ich will oder nicht, ganz einfach anzufreunden. Ein Vergleich: Das Lauftempo, das ich im Moment bei heftigster Anstrengung maximal einige wenige Minuten aufrechterhalten kann, bin ich vor 40 Jahren einen ganzen Marathon in drei Stunden gelaufen. Das ist der ewige Kreislauf der Dinge: Wachsen, blühen, verblühen – und weg.

Ich bin dankbar, dass ich mich bis heute noch so gut bewegen kann und Freude daran habe, bis heute ein Leben ohne Schmerz- oder andere Medikamente führe – und das hoffentlich noch eine ganze Weile.

Das will heissen: Der Unterbruch ist überwunden – meine Trainingsreise geht weiter.

















Wie weiter?

Damit habe ich ganz und gar nicht gerechnet. Die ersten Monate mit vorsichtigem Lauftraining über den letzten Winter bis in diesen Sommer hinein verliefen, was die Schmerzfreiheit in meinem linken Problemknie betrifft, vielversprechend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich zehn Jahre lang praktisch nie mehr sportlich gelaufen bin. Jetzt weiss ich: Die Belastung des Gelenkapparates war nach dieser langen Pause doch zu gross.

Ich bin niedergeschlagen, stelle das ganze Projekt in Frage. Ich muss auf das Lauftraining erst mal komplett verzichten. Ich spüre auch, wie meine Movitation nachlässt, stelle mir viele weitere Fragen. Habe das Gefühl, auch beim Schwimmen kaum Fortschritte zu machen. Was soll dieser Aufwand, wenn das Ziel quasi unerreichbar erscheint? Viele Diskussionen auch mit meiner Liebsten, die immer mit guten und aufmunternden Anregungen zur Stelle ist. „Jetzt nicht gleich die Flinte ins Korn werfen“, rät Coach Dan. Er sieht durchaus Möglichkeiten, das Training so zu gestalten, dass ich mir die ganze Ausdauer mit dem Radtraining aneigne. Und dann am Tag X nach Schwimmen und Rad soviel Vorsprung heraushole, damit ich den abschliessenden Marathon mit zügigem Marschieren noch innerhalb der Cut off-Zeit absolvieren könnte.

Aber eben, erst mal Pause mit Laufen für die kommenden Sommermonate. In meinem Umfeld geht bereits das Gerücht um, ich hätte meine Projekt schon aufgegeben, das sei wohl eine vernünftige Entscheidung. Ich kommentiere das nicht weiter, weil ich mit mir darüber selber nicht im Klaren bin. Mental aufbauen kann ich mich immer wieder mit schönen Radfahrten, allein oder mit Freunden. Mit Krafttraining und gezielten Dehnübungen bleibe ich auch dran.

Geduld ist angesagt! Für die nächste Zeit lasse ich das strukturierte Training komplett aus und beobachte in mir drinnen, wie es mir dabei ergeht. War’s das – oder doch nicht?

Hochstimmung in Venetien, Italiens Nordosten

Über die Auffahrtstage hatte ich eine tolle Radferienwoche als Gast des RV Bülach in Venetien im nordöstlichen Teil Italiens, Standort: Bassano del Grappa, am Ende der Poebene, etwa 100km nordöstlich von Venedig. Tolle Stimmung unter Gleichgesinnten, und natürlich anspruchsvolle Tagestouren mit vielen Höhenmetern. Abends gemütliche Stimmung bei Speis und Trank.

In der Regel trainiere ich ja sehr viel allein mit meinen Programmen. Zum einzelgängerischen «Autisten» will ich mich aber nicht entwickeln. Umso schöner ist es, zwischendurch zusammen mit andern, zum Beispiel sportbegeisterten Radlern, die Gegend nördlich von Venedig, pedalend zu erkunden. Dabei geraten natürlich auch meine trainingsspezifischen Vorgaben öfters mal durcheinander, da wir in der Gruppe fahren. Nicht weiter schlimm.

Trotzdem hielt ich mich, vor allem in den Aufstiegen, konsequent an die Watt- und Pulsvorgaben von Coach Dan. Puls maximal zwischen 140 und 150, im ruhigen Rhythmus gleichmässig den Berg hoch. Das ist mir recht gut gelungen. Ich spüre die verbesserte Basis, d.h. den Effekt des Wintertrainings auf der Rolle. Bin abends nie wirklich übermüdet und habe mich jeweils über Nacht immer gut erholt.

Ich fühle mich in meiner Leistungsgruppe wohl und nie überfordert. Die Jungen und Schnellen des Radfahrervereins Bülach fahren ihre eigenen Routen.

Lauf-, Schwimm- und Krafttraining haben zehn Tage Pause.

Zuhause kann’s dann wieder losgehen mit allen Disziplinen.

Verrückt? Skepsis, Zweifel, Zuversicht

Kona, Big Island, Hawai’i, 11. Oktober 2013, nachmittags um drei Uhr, bei 38 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Ich stehe in der Schlange der wartenden Triathleten, um mich und mein Velo für den bevorstehenden Ironman, die Weltmeisterschaft der besten Profis und der besten Altersklassen-Athleten aus aller Welt, zu registrieren. Es geht nur langsam vorwärts, da kommt man automatisch ins Gespräch mit anderen, die teilweise jahrelang auf diesen grossen Tag hinarbeiten, um endlich die Qualifikation zu schaffen. Ein Lebensziel für viele Triathleten.

Die Vorfreude, aber auch eine wohlig angespannte Stimmung, ist gross. Da fragt mich Alice, eine etwa 45jährige Australierin, drahtig und durchtrainiert, woher ich komme und wie alt ich sei. Wir plaudern ungezwungen. Selbstverständlich kommt ziemlich schnell die auf der Insel in diesen Tagen stets wiederkehrende Frage: „How many times have you been here?“ Grosses Staunen, dass ich mit 67 Jahren zum ersten Mal hier bin. Dann, auf meinen Hinweis: „Ja, und zum ersten und mit Sicherheit zum einzigen Mal“, da lächelt sie und gibt mir zur Antwort: „They always say: once and never again, but they all come back.“ Das will heissen, der Mythos Ironman Hawaii lässt einen nicht mehr los, auch wenn man an diesem einen langen Tag draussen in der Lavawüste noch so gelitten und sich geschworen hat: Nie wieder!

Nie wieder? Und doch!

Ja, und tatsächlich widerfährt mir das jetzt auch. Ich hatte längst abgeschlossen mit meiner wettkampfmässigen sportlichen Aktivität. Hawai’i als letzter, einmaliger Höhepunkt, und das war’s dann! Die folgenden Jahre trat der Sport mehr oder weniger stark in den Hintergrund, es blieben schöne, zuweilen auch lange Radausfahrten und zum Ausgleich regelmässiges Krafttraining. Immerhin!

Vor einem Jahr ist in mir plötzlich nochmals der Gedanke gewachsen, 2013 könnte doch nicht meine letzte sportliche Herausforderung gewesen sein. Und da ich immer schon eine Leidenschaft hatte, mich an grosse Projekte heranzuwagen, lag die Idee nahe: Warum nicht nochmals einen Ironman? Eine Träumerei? In meinem Alter? Zehn Jahre ohne Lauftraining, und schon wieder zehn Jahre älter? Verrückt?

Als erste zeigte sich meine Liebste, Lucretia, von der Idee begeistert, was mir innerlich natürlich sofort Aufschwung gab. Sie kennt mich und weiss, was mir guttut. Monatelang habe ich in der Folge mit dieser Idee gespielt, sie wieder verworfen und doch wieder aufgenommen. So wogen meine Gedanken und Gespräche auch in meinem Umfeld wochenlang hin und her, bis schliesslich der Entscheid feststand. Ja, ich will! Auch mit 78 Jahren darf ich noch Träume und Wünsche und Projekte haben, wenn mich dafür die Leidenschaft antreibt. Ich erfahre viel Unterstützung, aber auch grosse Skepsis („Warum tust du dir das noch an.“ oder ähnlich).

Grundlage: Mein metabolisches Profil

Schliesslich treffe ich mich mit Dan Aeschlimann, die Topadresse unter den Schweizer Triathleten-Coaches. Ich kenne ihn von einem Trainingslager auf Gran Canaria, auch schon eine Weile her: das war 2006. Leistungstest auf dem Ergometer, wissenschaftliche Auswertung. Na ja, der V02max Wert sieht noch alles andere als berauschend aus. Aber wenn ich ihn mit den Werten meiner Alterskategorie vergleiche, stehe ich in der Skala zwischen „good“ und „excellent“. Für den Anfang gar nicht so schlecht. Das war letzten Sommer.

Auf der Basis des mit dem Leistungstest ermittelten metabolischen Profils erstellt mir Dan die auf mein Level zugeschnittenen Trainingspläne. So trainiere ich seit letzten Oktober. Vorher bin ich noch in Süditalien auf einer Velotour heftig gestürzt, schwere Oberschenkelprellung, aber nichts gebrochen. Jedoch: Zwei Monate an Krücken. Ab November hats dann wirklich mit strukturiertem Training begonnen. Trainingspläne digital, nach der modernen Trainingssoftware azum.com. Vom feinsten!

Meine „Baustellen“

„Ich war am Anfang schon ziemlich skeptisch, als du mit deinem Projekt zu mir gekommen bist“, sagt Dan heute. „Ich habe schnell gemerkt, dass da noch viele Baustellen sind, die behoben werden müssen.“ Vor allem dachte Dan dabei daran, dass ich zehn Jahre lang auf jegliches Lauftraining verzichtete, als praktisch damit aufgehört hatte. „Nach dem Leistungstest waren meine Bedenken immerhin nicht grösser geworden“, ergänzte Dan.

Krafttraining im Alter als „Game changer“

Anderseits findet es Dan gut, dass ich mich so früh gemeldet habe und wir fast drei Jahre Zeit haben. „Die ersten Schritte waren, Ruedi afin zu machen für die richtigen Trainingsintensitäten. Ich beobachtete, dass er meistens viel zu hart und zu intensiv trainierte und sich so unnötigerweise auslaugte, sich also abbauend statt aufbauend bewegte. Diese Korrekturen hat er rasch und gut umgesetzt.“ Meine grösste Herausforderung bleibt für Dan, nochmals eine genügende Laufleistung hinzukriegen. Zuversichtlich stimmt ihn anderseits, dass ich das regelmässige Krafttraining voll durchziehe, „ein echter Gamechanger im fortgeschrittenen Alter“, so die Meinung von Dan. Aktuell darf ich laut Dan zufrieden und zuversichtlich sein, Leistungssteigerung seit letztem Oktober etwa um die 20 Prozent. Aber: „Es ist noch ein sehr, sehr langer Weg.“

Go to bed with a dream, wake up with purpose

Mit dem heutigen Tag starte ich ein Projekt, dem ich mich von nun an drei Jahre lang mit all meiner physischen, psychischen und seelischen Kraft – und doch mit spielerischer Begeisterung – hingeben werde. Ich habe es mir lange überlegt. Seit anfangs Jahr trat der Gedanke immer stärker in den Vordergrund. Jetzt geht’s los! Und ich visualisiere:

Am 10. Oktober 2026, 07.00 Uhr, stürze ich mich, zusammen mit einigen tausend anderen Wettkämpfern, in Kailua-Kona auf Hawaii in die Fluten des Pazifiks, um den ersten Teil des Wettkampfs, die 3.8km lange Schwimmstrecke, zu absolvieren. Danach geht es zurück in die Wechselzone, wo das Rennrad bereit steht für die 180km-Fahrt durch die endlose Lavawüste der Insel – und zurück nach Kona, um dann die Laufschuhe zu schnüren für die dritte Disziplin, den anschliessenden Marathonlauf von 42,2km bis zum Zieleinlauf. Das ist die Ironman Weltmeisterschaft auf der mythischen Insel, die schon viele Geschichten geschrieben hat.

Nicht schinden, sondern Freude und Spass

Vor zehn Jahren habe ich hier schon einmal erfolgreich gefinisht, und der Mythos dieser Insel hat es mir angetan. Da war ich 67 Jahre alt, jetzt also 77, und in drei Jahren bin ich 80. Das wird der goldene Zeitpunkt sein und die Ernte von drei Jahren disziplinierter und strukturierter sportlicher Trainingsarbeit. Denn diese drei Jahre brauche ich, das ist meinem Alter geschuldet. Ich will mich und meinen Körper ja keineswegs schinden, sondern ihm Freude bereiten.

Nun bin ich seit zehn Jahren kaum noch geschwommen und auch nicht mehr sportlich gelaufen. Dafür umso mehr mit dem Rennrad unterwegs – jährlich zwischen 4000 und 7000km – und fühle mich körperlich kräftiger dank regelmässigem Krafttraining. Also galt es, erst mal einen professionellen Leistungstest zu absolvieren. Neben der guten Grundausdauerleistung, die ich dank meiner sportlichen Vita über all die Jahre aufrechterhalten konnte, kamen natürlich auch die Defizite zum Vorschein, an denen es zu arbeiten gilt.

Was treibt mich an?

An etwas so lange wie möglich «dran zu bleiben», hat mich schon seit jungen Jahren fasziniert. Und ein Bewegungsmensch, der kaum ruhig sitzen kann, war ich auch schon immer. Als Kind und Jugendlicher beim Kunstturnen oder Fussball spielen, und irgendwann, so gegen die 30, suchte ich meine Erholung von Arbeit, Hof und Familie, ganz für mich im Dauerlauf. Und die Strecken wurden immer länger. Bis dann mal die Idee eines Marathonlaufs auftauchte. Das war dann gleich der New Yorker. Daraus wurden mit den Jahren ganz viele, auch Ultramarathons, Bergmarathons und schliesslich der legendäre Marathon des Sables in der Sahara im südlichen Marokko. Darauf folgte eine neue Herausforderung, der Wechsel zum Triathlon und zu sieben Ironman-Teilnahmen mit dem letzten Finish 2013 auf Hawaii.

Wissenschaftsbasierte Trainingsmethoden

Heute ist mein erster Trainingstag. Den Plan schreibt mir Dan Aeschlimann, mein Coach. Ich kenne ihn von damals in den Nullerjahren, als ich an einem Triathleten-Camp auf Gran Canaria teilnahm. Heute sind die Trainingsmethoden viel wissenschaftlicher geworden – und auch viel präziser auf den einzelnen Athleten zugeschnitten – und natürlich digital auf allen Plattformen und Devices abrufbar. Davon muss und will ich profitieren.

Heute also Krafttraining, Yoga und einige spannende Stretching-Übungen. Bestens erfüllt, erstes grünes Häkchen gesetzt!